Sternenstaub

Titel

Kurt M. Simon

Sternenstaub

Sci-Fi 164 Seiten

ISBN 978-3-942849-44-9 13,40 €

 

 

 

Cydonia City war ein Sündenpfuhl mit viel funktionaler Architektur aus den Anfangs-tagen, als man zwar keine Druckanzüge mehr brauchte, die Marsluft aber noch lange nicht atembar war. Auch deswegen hatte sie dort nie wohnen wollen. Die Stadt war zwar legendär und hatte eine von nur wenigen Universitäten außerhalb der Erde, aber sie war und blieb unvorstellbar hässlich-funktional. Manche fanden, dass kein Mensch auf dem Mars aufwachsen sollte. Sie wusste, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Kurt M. Simon erzählt in dieser dystopischen Utopie vom Schicksal einer jungen Polizistin in einer menschlichen Gesellschaft einer gar nicht so fernen Zukunft. Ein Pädophiliefall, der bis in die höchsten Ebenen der Macht reicht, bringt sie zurück in ihre eigene Vergangenheit …

 

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Das ist “Sternenstaub”

 

liesmich

 

Und hier noch ein kleiner Einblick in das Innere dieses spannenden und unterhaltsamen  Buches.

 

LESEPROBE:

 

 Prolog

Alles beginnt mit dem Öl. Das Öl gehört in der Geschichte der Menschheit zu den epochalen Entdeckungen, gleichzusetzen nur mit den Entdeckungen von Stein- und Eisenverarbeitung, Ackerbau und Viehzucht – und natürlich der Entwicklung von Geld und Geldverkehr.

Keines dieser Elemente der menschlichen Zivilisation ist dabei aber auch nur annähernd so komplex wie das Öl. Tausende Bestandteile machen natürlich vorkommendes Öl aus, überwiegend organische Kohlenwasserstoffe. Wir kennen nur Lebensformen, die auf Kohlenstoffen basieren. Wir sind selbst so eine.

Obwohl es eine beliebte Hypothese besonders in der Science-Fiction-Literatur ist, dass auch silikonbasiertes Leben möglich sei, ist es für eine Gesellschaft von Kohlenstofflebewesen vollkommen angemessen, sich von einer variablen chemischen Verbindung abhängig gemacht zu haben, die nicht nur endlich, sondern auch kohlenstoffbasiert ist. Doch was passiert, wenn die Endlichkeit des Stoffes erreicht ist, ohne dass wir kurzsichtig denkenden und agierenden Menschen eine Alternative für unseren ständig wachsenden Energiehunger gefunden haben? Was passiert, wenn uns die immerwährende Konkurrenz der Nationen, in denen eine jede nach dem größtmöglichen Reichtum strebt, ohne auf die Belange anderer Rücksicht zu nehmen, in eine Sackgasse treibt, aus der wir nicht mehr herauskommen?

Nehmen wir einmal an, dass irgendwann in nicht all zu ferner Zukunft der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufgelöst wird. Aus Sicht des kleinen Menschen kann das eine logische Folge seiner fehlenden Bereitschaft sein, die Probleme unserer Zivilisation außerhalb von Ideologiekonstrukten anzufassen. Vielleicht vergehen nur einige wenige Jahre, bis der Ölpreis schon das Fünf- oder auch Zehnfache des heutigen Niveaus erreicht hat. Und das wäre nicht das Ende. Die organisierten und nicht organisierten Ölexportnationen können bestimmen, was sie für die wenigen Millionen Barrels, die ihnen noch zu exportieren bleiben, verlangen können. In dieser Situation sind die einzigen Nationen, die es sich erlauben können neutral zu bleiben, diejenigen, die zumindest eine relative Unabhängigkeit vom Öl erreicht haben, weil sie zum Beispiel viel Wind oder viel Sonne erhalten und das technische Verständnis haben, diese Elemente den Belangen ihrer Gesellschaft Untertan zu machen. Und natürlich diejenigen, die wirtschaftlich eine derart geringe Rolle spielen, dass sie noch nie große Ölimportnationen waren. Besonders unter Druck geraten die sogenannten Schwellenländer, die einen großen Energiehunger haben, aber noch nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen, diesen auf andere Arten zu stillen. Nicht selten auch, weil weiter entwickelte Nationen peinlich genau darauf achten, nur selbst von ihrem technischen Fortschritt zu profitieren.

Wie es dann genau passiert, lässt sich nicht vorhersagen, aber spekulieren.

Wahrscheinlich ist, dass ein Schwellenland versucht, eine rohstoffreiche Region eines anderen zu okkupieren. Vielleicht greift Pakistan Indien in Kaschmir an oder umgekehrt. Vielleicht marschiert China in Sibirien ein. Vielleicht ergibt sich eine völlig andere Entwicklung. In jedem Fall wird man hinterher nicht mehr genau wissen, wer angefangen hat, weil wir es schon heute nicht wissen und wir uns in einer kontinuierlichen Entwicklung befinden, die angefangen hat und anders enden kann, auch so, dass eine der nuklear hochgerüsteten Schwellennationen die Nerven verliert und jemand an irgendeinem Punkt der Welt einen längst vergessenen roten Knopf drückt. Der Vorteil von Interkontinentalraketen ist, dass sie auch ohne Öl betrieben werden können. An diesem Punkt könnte alles vorbei sein.

In diesem Buch soll ein winziger Teil der Geschichte einer Welt erzählt werden, in der nur vieles vorbei war.

Die meisten der Millionenstädte der Industrienationen waren innerhalb nur eines einzigen Tages zerstört. Viele – auch wenn ihre Nationen völlig unbeteiligt waren – einfach weil Interkontinentalraketen zumeist auf bestimmte Ziele voreingestellt sind. Die Hälfte der Menschheit war innerhalb eines Tages ausgelöscht, von dem Rest starben weitere Milliarden innerhalb weniger Monate an den unmittelbaren Folgen. Die Jungen sowie die Kinder der Überlebenden sollten als die Krebsgeneration in die noch leeren Geschichtsbücher einer neuen Welt eingehen. Man nannte diesen Tag – es sollte ein 24. Juli sein –, dem wieder einmal eine Julikrise vorausgegangen war, später auch den Schwarzen Dienstag. Manche sprachen auch vom Eintageskrieg, in Erinnerung an eine längst vergessene Art, Kriege zu bezeichnen.

Die einzige Region auf dem ganzen Planeten, die relativ unbeschadet davonkam, war Afrika. Hier gab es zwar lange Zeit die meisten Kriege, gleichzeitig aber das niedrigste Rüstungsniveau. Und von außen erschien der Kontinent vielen Wirtschaftskriegsführenden als unattraktiv.

In der Afrikanischen Union immerhin organisiert, machten sich die afrikanischen Nationen auf einem nunmehr sehr viel kälteren Planeten daran, die Menschheit wieder aufzubauen. Dabei hatte der Schock des Eintageskrieges viele Grundlagen der menschlichen Gesellschaft zerstört. Unzählige Selbstverständlichkeiten waren nicht mehr selbstverständlich, unzählige Besonderheiten nicht mehr besonders. Ganz besonders wurde sehr schnell offensichtlich, dass der Planet einen Großteil seiner Lebensfreundlichkeit eingebüßt hatte. Es war bald klar, dass es Jahrhunderte dauern würde, bis manche Regionen wieder bewohnbar wären; und auch in den übrigen Regionen war davon auszugehen, dass auch dann, wenn die Menschen das Kälte- und das Hygieneproblem in den Griff bekämen, die Lebenserwartung noch lange eingeschränkt bleiben würde.

Daraus entstand die erste der Grundlagen dieser neuen Gesellschaft: Die Menschen sind geprägt von Anpassungsfähigkeit und Überlebenswillen, und Überleben schien nunmehr am besten möglich zu sein, wenn man sich außerhalb seines Heimatplaneten umschaute.

Als die Menschen wieder etwas Organisation hergestellt hatten, beschlossen sie bald, einen Versuch zu starten, den Mars lebensfähiger zu gestalten. Durch den Einsatz von zunächst automatisierter Industrie und dem Anschmelzen der Polkappen gelang es nach 120 Jahren erstmalig, ohne Druckanzug über den Mars gehen zu können; die erste Siedlung wurde gegründet, die schließlich über 600 Jahre nach dem Schwarzen Dienstag die zweitgrößte Stadt außerhalb der Erde sein sollte.

Natürlich wäre das in einer Gesellschaft mit wetteifernden Nationen und einem Weltmarkt, an dem sich einzelne bereichern, nicht möglich gewesen.

Die zweite Grundlage dieser neuen Gesellschaft sollte es also werden, dass die Menschen ihre panische Angst vor der Macht Einzelner sowie vor der irrationalen Feindschaft untereinander in ihre Organisation einbanden: Unter Mitwirkung von Überlebenden aus allen Erdteilen wurde in Kapstadt das Konzept der Cosmopolis entwickelt. Alle Nationengrenzen fielen. Dafür war vermutlich erst ein Atomkrieg nötig, denn erst dieser zeigte, wie lächerlich die vielen kleinen Probleme biologisch gleicher Wesen untereinander doch sind. Als Hauptstadt der stark reduzierten, aber immerhin vereinten Menschheit wurde Kisangani im Zentralkongo gewählt, das aus allen noch mehr oder weniger bewohnbaren Teilen der Erde erreichbar war und keinen einzelnen Ort ins besondere Abseits stellte.

Der Schock des Eintageskrieges zeigte sich auch sonst überall in der Verfassung: Militär war ausdrücklich untersagt. Es sollte nicht mehr möglich sein, dass ein einzelner Mensch mehr als einmal in einem politischen Amt bestätigt wird. Man trieb dies sogar noch weiter und verbot, dass ein einzelner Mensch mehr als zwei politische Ämter in seinem Leben bekleiden dürfte. Die Hierarchien wurden flach eingerichtet, das höchste Gremium wurde die Hohe Kammer, die später Sternenkammer genannt werden sollte; Vertreter unterschiedlicher Verwaltungseinheiten wurden hierhin gewählt und Prinzipale-auf-Zeit oder Prinzipalinnen-auf-Zeit rotierten jährlich und waren nur mit geringen Vollmachten ausgestattet. Auf einer überregionalen Ebene sollte es keine politischen Parteien geben, um ideologische Machtstrukturen zu verhindern. Religion spielte nur noch im häuslichen Rahmen eine Rolle, religiöse Verwaltung oder gar Einmischung ins Staatswesen wurden untersagt. Und schließlich, um das de-facto-Verbot von Berufspolitik noch zu unterstreichen, war es ausgeschlossen, dass jemand ohne passendes Training ein entsprechendes Amt bekleidete; Menschen, die ein hohes, öffentliches Verwaltungsamt bekleiden wollten, mussten dies auch im Privatleben irgendwie unter Beweis gestellt haben – Bildungsexperten mussten vorher gebildet haben, Justizexperten gerichtet haben und so weiter.

Der unmittelbare Vorteil in Bezug auf die erste Grundlage war, dass niemand mehr Geld ausgeben musste, wenn sich die Gesellschaft hinter eine Entscheidung stellte. Geld verlor an Bedeutung und wurde rein in den privaten Raum zurückgedrängt, wo es eher die Funktion von Belohnung oder Bestrafung im beruflichen Kontext einnahm.

Die dritte Grundlage der neuen Gesellschaft wurde ihre unbedingte Fixierung auf sich selbst.

Es galt, die Überlebenden des Eintageskrieges weiter überleben zu lassen und aus der von sich selbst geschlagenen Spezies wieder eine stolze Gemeinschaft werden zu lassen. Das trieb natürlich schon die ersten beiden Grundlagen an, bedingte aber auch ein extremes Umdenken in vielen anderen Bereichen, besonders dem Strafrecht: Wer etwas Einfaches stahl, handelte unmoralisch, fügte in einer Gesellschaft, in der Geld nur noch eine mittelbare Funktion hatte, dieser aber keinen außerordentlichen Schaden zu, brauchte also auch keine schlimmen Strafen fürchten. Stahl er aber etwas, was ein Teil der Gesellschaft gerade unmittelbar zum Überleben brauchte, wurde er auch dann aus der Gesellschaft ausgeschlossen, wenn dieser Teil überleben konnte. Wer einen Mord beging, handelte schlimm, fügte der Gesellschaft unter Umständen aber nur einen geringen Schaden zu, sodass ihn die Gesellschaft nicht fallen ließ. Wer hingegen ein Kind missbrauchte, das selbst und dessen Angehörige deshalb Pflege bedurften, vielleicht sogar nie wieder ihren Teil an der Gesellschaft würden leisten können, fügte der Cosmopolis einen unmittelbaren Schaden zu und wurde aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Konsequenz für Gesellschaftsverbrechen sollte unmittelbar sein: Ein Täter hatte aus seinem Privatbesitz den Schaden wieder gut zu machen und seinen automatisch lebenslangen Gefängnisaufenthalt, ohne Aussicht auf Begnadigung, zu finanzieren. Ging ihm das Geld aus, gab es auch keinen Anspruch auf Versorgung jedweder Art mehr.

Ganz auf Geld verzichten konnte die neue Gesellschaft also nicht. Dennoch ging es ihr gut. Sie zählte die Jahre der Wiedergeburt seit dem ersten Jahr nach dem Eintageskrieg und breitete sich mit zähem Willen, einer durch den Kriegsschock motivierten und letztlich auch durch den eigenen Überlebensdrang gezwungenen Bevölkerung innerhalb des Sonnensystems aus. Einige Menschen zogen auf den Mars, auf Monden überall wurden die nötigen Rohstoffe gewonnen. Letztlich wartete man natürlich darauf, dass die Erde sich erholte und man wie die Ahnen am Strand würde spazieren gehen können.

Doch dann, im Jahr 372 nach der Wiedergeburt, geschah das Unvermeidliche: Die neue Gesellschaft wurde durch ihre eigenen Errungenschaften in ihren Grundfesten erschüttert als Wissenschaftler, die nach Wegen suchten, schneller zwischen den interplanetaren Orten des Lebens und des Handelns reisen zu können, die lange nur hypothetische Einstein-Rosen-Brücke bewiesen. Plötzlich war klar, dass man Raum und Zeit austricksen konnte und schneller als das Licht würde reisen können, ohne schneller als das Licht zu sein.

Bisher war die Cosmopolis nur auf sich selbst fixiert gewesen. Plötzlich wurde es aber zumindest im gleichen Maße hypothetisch denkbar, wie es zuvor die Einstein-Rosen-Brücke war, dass man fremden Wesen würde begegnen können, die vielleicht nicht friedlich sein würden. Das wusste natürlich niemand mit Sicherheit, aber in einer Gesellschaft, die aus Angst und Schock geboren wurde, kann Angst eine große Rolle spielen.

Zu dieser Zeit war ein junger Mann namens Johan Obstinar Prinzipal-auf-Zeit. Auch wenn seine individuellen Vollmachten natürlich stark eingeschränkt waren, spielte er doch eine entscheidende Rolle dabei, einige Dinge zu verändern, von denen die Bevölkerung zunächst nur eines bemerkte: Die Einführung eines Militärs, den Bewaffneten Selbstverteidigungskräften der Cosmopolis.

Wenige Jahre später wurde eine Welt namens Artemis im Tao-Ceti-System entdeckt und schließlich gewandelt und besiedelt. Von nichtmenschlichen Wesen gab es allerdings nie eine Spur.

Artemis war deshalb eine gute Wahl, weil er physisch ähnliche Voraussetzungen wie der Mars hatte, dabei aber etwas größer und näher an seinem Mutterstern war. Mit einer Schwerkraft von nur etwas weniger als Erdstärke blieben eine ganze Reihe von Problemen, die Umsiedler auf dem Mars hatten und weswegen die meisten Kinder trotz der Strahlenbelastung noch lange auf der Erde aufwuchsen aus. Trotz der Distanz zur Erde und der manchmal immer noch tagelangen Reise, wohnten schon im Jahr 616 mehr Menschen auf Artemis als auf dem Mars und auf der Erde zusammen. Die Hauptstadt Tranquilita war die größte Stadt der Menschheit.

In diesem Jahr wurde Julietta, geborene Fallini, und Tarek Al-Salam im Ersten Hospital von Tranquilita ein gesundes Mädchen geboren, dem sie den Namen Yasemin gaben …

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